Der gute Stierkampf ist alter Wein. 6
Man muß ihn langsam und mit Gaumen trinken.

 
Corrida de toros, kein Sport. Kein Wettkampf zwischen Mann und Stier. Corrida, ein Tragödie, die für den Mann Gefahr bringt, Todesgefahr, dem Stier aber den sicheren Tod. Der Tod des Mannes ist ein Unfall. Er hängt virtuell in den Hörnern des Stier, das genügt.
Auch wenn, nach drei Avisos, der Toro lebend aus der Arena gelangt, über die Corrales hinaus kommt er nicht. Er muß sterben. Es gibt keinen zweiten Auftritt.
Wird der Stier begnadigt, weil das Publikum es so wollte (was selten vorkommt), darf er an Altersschwäche eingehn. Niemand darf Hand an ihn legen.
Corrida, ein Schauspiel erstens, in dem richtig getötet und richtig gestorben wird.
Corrida, ein Schauspiel zweitens, in dem sich der Mensch für Augenblicke über den eigenen Tod erhebt.
Corrida, ein Schauspiel drittens, in dem der Mensch jene Zeit, die seine Sterblichkeit mißt und bedeutet, in magischen Momenten aufhebt und überwindet.
Schauspiel, Ritual, Mysterium, Magie, Kunst: große Worte für das bißchen Fiesta, für ein bißchen Emotion. Doch die große Emotion ist das Endprodukt aller Kunst, auch der mit kleinen Worten.

Ein Torero muß verrückt sein. Und Künstler.
Ein verrückter Künstler muß er sein.
Ach, könnt ich vergessen, was Stiere für Hörner haben, von Cádiz nach Sevilla gäb's keinen Torero wie mich, singt das Flamencoliedchen.
Den Kopf behalten, wenn die Hörner kommen, das ist's. Ein Matador hat den Tod im Kopf, Tag und Nacht.
Was sein Beruf ist. Dafür wird er bezahlt. Und so wird er bezahlt:
Dann und wann wie ein Scheich, der einen Vertrag abschließt. Manchmal wie ein guter Arzt, der feine Patienten hat. Manchmal wie ein besserer Buchhalter. Und oft so, daß er, nachdem die Cuadrilla berappt und die Spesen abgezogen sind, seine Familie nicht zum Nachtessen ausführen kann.
Ein Torero muß ledig sein, verliebt und nicht genug haben, sich Tabak zu kaufen. Belmonte mußte es wissen. Torero ist ein schwieriger Beruf. Weil Stiere aufmachen
immer schwierig ist. Weil Stiere schwer zu begreifen sind. Weil von Stieren nur Kühe etwas verstehen - und
auch die nicht alle. Papa negro, Manuel Mejías Rapela, Bienvenida III mußte es wissen.
Matador sein ist schwierig, weil es ohne Poesie kein Toreo gibt. Doch wann stellt sich die ein, die Poesie?
Wenn ein Torero ein Mysterium in sich trägt und dieses auch zum Ausdruck bringt. Rafael el Gallo mußte es wissen.
Das ist die Rechnung ohen den Bullen gemacht!
Wer nicht will, daß der Stier ihn erwischt, soll Bischof werden. Fernando el Gallo mußte es wissen.
Er zählte vor allem auf seine Söhne.
Den einen, den Größten von allen, der es mit allen Stieren aufnahm, der auf den Stieren spielte wie auf Gitarren, Joselito, von dem man meinte, er sei für Stierhörner unerreichbar, von dem man sagte, bei seinem Stierwissen müsse ein Kuh ihn geboren haben, Joselito war am 16. Mai 1920 in Talavera de la Reina dran.
16. Mai, Tag, an dem noch heute in Spaniens Arenen die Toreros den Ruedo mit gesenkter Montera betreten.
Toreros machen die verrücktesten Dinge der Welt. Als Pepe Hillo mit dem Stier einen einzigen vorbereitenden Pase machte, zum Kreuzen statt der Muleta einen Sombrero griff, nahm Pedro Romero den Kamm aus seinem Haarnetz und ging ohne zu kreuzen hinein. Antonio José Galán steht denn mit seiner spektakulären Suerte in einer prominenten Tradition.
Galán fliegt zehnmal im Jahr über den großen Teich, aber viele mutige Toreros haben angst vorm Fliegen, andere getrauten sich nicht einmal per Schiff hinüber nach América, ins Land der kleinen Stiere. Der mächtige Gaona aus Mexiko fürchtete sich vor Eidechsen, Belmonte vor den Fledermäusen.
Das ist ja recht anekdotisch, doch wie steht es um das Mysterium in den Toreros, woher kommt es?
Ein guter Stierkämpfer, der hondura hat, wird er durch Meditation. Seneca stammte nicht umsonst aus Cordoba. Sein Stoizismus wirkt  nach, in Lagartijo, in Guerrita, in Machaquito, in Manolete.
In der Sprache der Phänomenologie müßte das besagen, Toreo sei der Vorsatz, vor dem Stier nichts zu tun und diesen Willen zum Sein erstarren zu lassen. Mehr Seneca geht nicht mehr.
Wir wären dann bei José Bergamín, der Sinn für solches hatte, oder bei Don Tancredo, der sich, um Luft zu sein, weiß kleidete, weiß schminkte, auf einem Stuhl saß, sich nicht rührte und den Stier kommen ließ. Die Parodie schon, aber: faut le faire!
Oder bei Don Quijote himself. Nicht bei einem erfundenen. Don Quijote war ein großer Gemütsbeweger und er bewegte allem voran sein eigenes.
Toreo ist eine Gemütsbewegung, ist sentimiento, ist eine Geistes-, ist eine Haltung der Seele.
Schlüsselwort: hon-du-ra. Mit Tiefe nicht hinreichend übersetzt.

Man muß Spanisch lernen, um das zu spüren, um zu wissen. Um von diesem Wind gestillt zu werden. Von einem Wind, der einhält. Doch vor den Seelenzustand setzen die Stiere die lidia, den Kampf.
Toreo machen heißt, vom Angriff des Stiers profitierend ihn dahinlenken, wo er nicht hin will. Heißt, seine Kraft brechen, seinen Verteidigungsinstikt dominieren und im gleichen Moment Schönheit erzeugen. Heißt, aus Erfahrungen, die ans Lebendige gehen, sich einen doppelten Mut aufbauen: dein einen, der aus dem Stierwissen und jenen anderen, der aus dem Kunstverstand kommt. Der gute Geschmack, der eigene Stil, die Persönlichkeit: Basen für die Inspiration. Die, wenn der magische Kreis sich schließt, herunterholt, wozu all die Opfer gut sind: duende!
Zigeuner haben mehr duende als andere. Es geschieht, daß ein Engel sich neben sie stellt und and ihrer Statt die Muleta führt. Zigeuner haben ángel, dann und wann.
Zigeuner sind darum auch häufiger schlecht als andere. Wenn weit und breit kein Engel steht, sind Zigeuner immer schlecht. Dann sind sie leere Mater, in die kein Guß will.
Das mag eher Flamenco sein denn Stierkampf, cante hondo mit seinen Launen, Explosionen und Absenzen. Stierkampf und cante hondo gehören zusammen.
Für den Nichtspanier ein nostalgischer Prunk das Ganze?
Oder eine mystische Einübung in die Welt der Sinnlichkeit, die mit ihren starken Emotionen allein uns noch erlaubt, eine seelenlose, entleerte, entstellte Welt nicht nur als Negativform zu erleben.
Die bösen braven linken Frauen, die befreien und bewegen, was das Zeug hält, werden aufschreien!
Die braven bösen linken Frauen, die befreien und bewegen, schreien mir auch sonst zuviel, zu schrill. Und das Zeug, das sie halten, ist nicht mein Zeug.
Sie werden Dir den ganzen spleen vom Toreo, mit Fest und Sex und Tod und Toro, in irgendeine ihrer originellen faschistischen Ecken drängen.
Dann ist gegen den Comic strip ihrer Ignoranz kein Kraut gewachsen, wörtlich.
Toreo ist, an sich, so faschistisch wie Fußballspielen, könnte ich sagen, wenn ich dann noch wollte, oder wie Steine meißeln, oder, um den frommen bösen Frauen das Verständnis zu erleichtern: wie Plakate kleben. Oder Leserbriefschreiben. Oder Barrikadensteigen.
Man könnte selbstverständlich auf Goyas Toros de Burdeos hinweisen, wenn das nicht zuviel verlangt wäre, oder auf Picassos Tauromachie, auf Rafael Albertis Stiergedichte, auf die von Pablo Neruda, auf Miguel Hernández oder auf Federíco García Lorca, auf René Char oder, von mir aus, auf irgeneinen anderen "Vollfaschisten" wie Francesco Rosi, der den einzigen brauchbaren Film über die Corrida gemacht hat. Man könnte, wenn man überhaupt wollte und es einem nicht zuviel würde.
Oder darauf, daß am Ende der Tod überhaupt etwas Faschistisches habe - und daß man, wie die Welt, samt braven linken Frauen, ausschaue, eh zufrieden wäre, wenn danach etwas Nachfaschistisches käme, oder oder.

Wo holen denn die guten Stierkämpfer, die nicht Flamenco machen, ihre Intuition her?
Aus dem Wissen. Wissen erst gibt Sicherheit. So wie Luis Miguel Dominguín alles gewußt hat.
Wenn das auch nicht genügt, ist es natürlich besser als die Reinfälle mit den Künstlerphänomenen, die zehn Mal versagen, während sie auf den Stier warten, der es ihnen ermöglicht, ihr unvergleichliches Aroma zu entfalten.
Ich würde das Sichere nehmen!
Worüber man sich streiten kann, darauf soll man sich nicht einigen.

Einigen wir uns auf dieses: temple macht alles. Ohne Temple keine Begnadigung.
Was ist es denn genau?
Die vollkommene Übereinstimmung der Bewegung von Stier und Tuch.
Das Verharren im Augenblick der Kadenz.
Dem Stier Brisanz wegnehmen oder solche aus dessen Stumpfheit herausziehen.
Und was bewirkt es?
Wenn eine Figur Temple hat, meinst Du, sie dauert eine Ewigkeit. Temple gibt dem Toreo die Tiefe. Und Temple ist magisch. Wie der drive im Jazz. Nur daß es in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Statt daß sich, wie beim Drive, das Tempo unmerklich, doch stetig verschärft, muß sich dieses im Temple unmerklich, doch stetig verlangsamen.
Kann man das nicht illustrieren?
Man muß es gesehen, gespürt haben.
Corrochano, ein guter Kritiker, sagte von einer guten Capa, jener von Antonio Márquez: sie gehe als Wirbelsturm in den Stier und komme als Brise heraus; sie gehe als Löwe hinein und komme als Lamm heraus; sie gehe verrückt hinein und komme geläutert heraus.
Ich aber gehe lauter hinein und möchte verrückt herauskommen!
Dann kannst Du dich an die guten Toreros halten.
Verrückte Künstler sind das.
Vergessen, daß Stiere Hörner haben.
Hörner, die töten wollen.


 

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Dr. Andreas Krumbein, 4. Oktober 2009