Arenas

Ich gehe los. Alle sehen zu.
Gott, waren wir glücklich. Das bestreitet sie auch nicht. Empfindet noch viel Liebe für mich, sagt sie. Sagt, auf Dauer gehe es aber einfach nicht. Sie würden nicht weit weg wohnen, obwohl ich während der Saison sowieso nur selten in Burgos wäre, sagt sie, und wenn ich Probleme machen will, dann kann die Trennung eine Scheidung werden, und sie liebt mich noch, und auf Dauer geht es aber einfach nicht und überhaupt,
und ich gehe los. Und alle sehen zu.
Wer kennt mich und Sara wirklich? Die wenigsten. Für die anderen ist alles klar: ich muß 'rumgefickt haben. So ein Kerl wie ich holt die Fans zu sich und fickt 'rum. Die Frau ist für zu Hause, und weil die Arbeit mich gefangen hält, muß ich mir zwangsläufig Luder unterwegs gesucht haben, muß Sara auch mehr geprügelt haben, als für jemanden in meinem Beruf normal ist, und irgendwann ist Schluß, klar.
Ich gehe los und Pepín, hinter mir, sagt: "Tu’ es nicht, Alter", als ich geh’, und dieses Meer atmet ein und sammelt sich, weil es erst jetzt begriffen hat, was ich vorhabe. Diesen Gang über den Sand habe ich immer anderen Arschlöchern überlassen. Heute aber gehe ich, und ich werde mich bis zum Ende geradehalten. Es regnet nicht mehr, ist aber matschig, also ziehe ich die Schuhe aus, und los.

Was weiß die Boulevard-Presse wirklich über mich und Sara? Noch vor kurzem hatten wir einen Nachmittag zusammen, wo wir nur leise und langsam in Absätzen und Kapiteln gelacht haben, mit lockeren Lücken dazwischen, und waren glücklich - und das Beste waren die Lücken, denn die enthielten all die stille Wärme von 15 Jahren Kennenlernen. So was verleugnet man nicht.
Das Meer ist lauter geworden und ich höre es jetzt auch von beiden Seiten. Da vorne bemerke ich aber nur den Mann, noch ein Stückchen weg, der auf mich wartet.
Sara weiß, ich brauche Ruhe, wenn ich nicht gerade arbeite, und sie war immer die Ruhe selbst und die Kinder eine Erlösung, auch wenn sie schreien und Scheiße bauen. Habe ich die Kinder nicht immer angerufen, bevor sie abends schlafen gehen müssen? Ich und die Kollegen bereiten uns in Hotelzimmern auf die Arbeit vor, aber ich setze mich hin und telefoniere. Na gut, sie gluckern nur, aber Sara sagt ihnen: "Das ist Papas Stimme", und sie sind glücklich. Das nenne ich gesund. Und die Finca: Ich habe sie nur mit Oliven und Pfirsichen bewirtschaftet, kein Vieh, nur Ackerland. Sie kann sich nicht beschweren.

Mein Gott, ich liebe sie so und sie liebt mich "noch"! Sie sagt, das Problem sei nicht die Abwesenheit, aber was kann es sonst sein? Und ich fahre eh seit sechs Jahren nicht mehr für die Wintersaison nach Mexiko, und nach sechs Jahren gucken die Leute ein bißchen komisch, wenn sich ein Maestro so schont. Aber heute zeigt der Maestro Gesicht. Nur über meine Leiche nimmt mir Sara die Kinder weg.
Die dummen Wellen rauschen in meinen Ohren, aber ich sehe nicht hin. Ich sehe nur diesen Mann an, der wichtigtuerisch auf mich wartet. Er weiß, was ich will. Er wird mir dabei helfen. Und die Masse wird um mich herumtoben, mich überwältigen und davontragen. Alle schauen, Pepín auch, und jetzt will er doch, daß ich es tue, jetzt da ich meinen Gang über den Sand angefangen habe, quer über den Sand, weg von meinen Freunden und Kollegen, die mir eine Art Rückendeckung sind, bis in die Arme und Klauen dieses Meeres, wo die Wellen sich erheben und neigen, eine Drohung und Huldigung zugleich, animalisch gedankenlos. Wenn es schiefgeht, wird Pepín zu ihr gehen und ihr erzählen, was passiert ist.
Sara. Sie hat mich autonom und in Liebe genommen, hat mich nie angebetet. Jetzt wird diese Autonomie zu einer Machtausübung.

Bald ist es so weit.
Und sie sagt, es sei wegen der Angst. "Willst du mir was über Angst beibringen?",  frage ich sie. Und sie sagt "Ja!", und weint und schiebt mich weg, wenn ich zu ihr gehe. "Ich liebe dich", sage ich. "Ja", sagt sie schlicht.
Ich halte an. Der Mann steht vor mir. Eine Art Elfmeter-Szenario. Er verfügt über eine einzige Granate.
Ich zu Sara: "Magst du es nicht, wenn sie meine Musik spielen und ich einen guten Tag habe?" "Immer öfter ist das bloß eine Erleichterung für mich", sagt sie. "Für mich auch", erwidere ich. Sie sieht scheußlich aus. Ich will sie berühren, aber sie zieht sich zurück und
ringsum der Krach des Meeres, und jetzt kommt ein Zischen auf, das Zischen von Brandungsresten, während ganz hinten eine siebte Welle wächst, ihren Schwung sammelt ...
"Du  wußtest aber von vornherein, was ich tue", sage ich. Ja, aber ihre Angst übertrage sich auf die Kleinen und das gehe nicht. "Und was nutzt es, wenn ihr anderswo wohnt?", frage ich. Etwas müsse sie unternehmen. Die Nachrichten werde sie nicht lesen. "Meinst du, die Leute konnten vor Jahrhunderten lesen? Die wußten trotzdem von den Großen. Begrabe dich gleich in einer Höhle", sage ich.
Ich knie’ mich auf den Sand hin. Ich werde mich geradehalten. Meinen Stoff breite ich vor mir auf dem Sand aus. Ich kenne die Angst, sie geht aber heute um mich herum, nicht ich um sie. Ich sehe den Mann genau an und nicke ihm zu.
In einer Höhle ohne Modem-Anschluß, Liebste.
Der Mann dreht sich um, betätigt den Riegel des Tors, zieht das Tor auf und scheidet aus. Das zischende, zuschauende Meer ist noch zu hören, aber ich höre es nicht. Ich höre das Gluckern meiner Kinder am Apparat. Im dunklen Tunnel vor mir tut sich erstmal nichts. "Das ist Papas Stimme." Der Graubraune mit der breiten Hornstellung kommt jetzt, 536 Kilo, aber wann? Daß er schnell auf mich losgeht. Daß ich ihn früh einschätzen kann. Daß er nur zuerst zögert, danach aber nicht mehr. Daß er sein rechtes Horn bevorzugt. Hauptsache, aber, schnell. Aha, er kommt. ’Raus in die Sonne. Hier bin ich. Staub springt vom Fell. Komm! "Das ist Papas Stimme." Schnell legt er los. Er kommt. Er kommt. Er kommt ...



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Dr. Andreas Krumbein, 22. Juni 2003