Ein moralischer Rückschlag
Francis Wolff

entnommen aus EL PAÌS, Edición impresa. Cultura, No XXXX, 26. September 2011: ANALISIS: La Monumental echa el cerrojo LO QUE PERDEMOS
Un retroceso moral
La opinión del director

übertragen aus dem Spanischen von Andreas Krumbein
 
Die Fiesta de los Toros ist eine der urwüchsigsten Schöpfungen der hispanischen Kultur, und sie ist zugleich Trägerin derjenigen menschlichen Werte mit der höchsten Allgemeingültigkeit: Mut, Würde, Anstand, Treue, das feierliche Zelebrieren des Todes, die Beherrschung des Animalischen im Menschen und außerhalb seiner selbst, die Schöpfung von Schönheit, ausgehend von ihrem Gegenteil, der Unordnung, Regellosigkeit und Angst. Könnte es sein, dass diese urwüchsige, kulturelle Erfindung einem Streben nach Gleichförmigkeit und einem übermächtigen Anpassungsdruck an geltende Normen unterlegen ist, die fast nicht den Anschein der Allgemeingültigkeit vermitteln, der eintönigen Allgemeingültigkeit von McDonalds oder von Coca-Cola? Sollten eines Tages die Corridas des Toros aussterben, wäre dies ein großer Verlust für Mensch und Tier.

Wir stünden vor einem kulturellen Verlust und einem ästhetischen, einem Verlust sinnlicher Wahrnehmung, aber auch vor einem ethischen Zusammenbruch. Einigen erscheint das Verbot der Stierkampfkunst, der Tauromaquia, als „Fortschritt“ der Zivilisation. Doch das ist bloßer Schein. Der animalistische Tierschutz ist keine Erweiterung der humanistischen Werte, sondern ihre Leugnung: Denn indem wir versuchten, die Tiere auf diejenige Stufe emporzuheben, auf der wir mit den Menschen umzugehen haben, setzten wir notwendigerweise die Menschen auf diejenige Stufe hinab, auf der wir mit Tieren umgehen. 

Ich streite nicht ab, dass wir Verpflichtungen gegenüber den Tieren haben. Es wäre unmoralisch, die Verhältnisse von Zuneigung, die wir zu unseren Haustieren haben, zu verleugnen. Gegenüber unseren Nutztieren, die wegen ihres Fleisches, ihrer Wolle oder ihrer Arbeitskraft gezüchtet werden, wäre es unmoralisch, sie als „Objekte“ zu behandeln, wie es durch die empörenden Formen der mechanisierten, Industrie-Viehhaltung getan wird; allerdings akzeptieren wir, dass es moralisch ist, sie zu töten. Und gegenüber den Millionen von Arten wilder Tiere, die die Ozeane, Gebirge und Wälder bevölkern, haben wir ökologische Verpflichtungen, wie die Respektierung der Ökosysteme und der Biodiversität.

Der Kampfstier passt in keine dieser Kategorien. Er ist weder ein wildes Tier, da er vom Menschen gezüchtet wird, noch ein Nutztier, denn jede Form die Stierkampfkunst auszuüben, setzt voraus, dass der natürliche Instinkt des Stieres, sich dem Menschen gegenüber feindlich zu verhalten, erhalten bleibt; dies ist die bravura. Für ein solches Tier muss ein Leben, dass seiner ungehorsamen und unbezähmbaren Natur entspricht, ein freies, natürliches Leben sein, und ein Tod, der seiner Natur als ungezähmtem Tier in freier Wildbahn entspricht, muss ein Tod im Kampf gegen denjenigen sein, der seine Freiheit anzugreifen versucht und dem er mitVorherrschaft auf seinem eigenen Gebiet widerspricht. Frei zu leben und kämpfend zu sterben, ist die Bestimmung des Kampstieres. 

Jedwedes Verbot wäre ein moralischer Rückschlag. Der Sinn und der Wert der Corrida de Toros ruhen auf zwei Säulen: Dem Kampf des Stieres, der nicht sterben soll, ohne dass er seine Angriffs- oder Verteidigungsfähigkeiten hat zu erkennen geben können, und der Verpflichtung des Toreros, sich seinem Gegner nicht gegenüberstellen zu können, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Die Pflicht, das eigene Leben einsetzen zu müssen, ist der Preis, den man bezahlen muss, will man das Recht haben, ein geachtetes Tier zu töten, anstatt es auf verborgene und mechanisch ausgeführte Weise zu schlachten.

Mittlerweile müssen wir es uns eingestehen: Kein einziges Argument könnte jemals diejenigen überzeugen, für die die Corrida das Foltern eines unschuldigen Tieres darstellt. Weder dass es in seinem Kampf seine Natur als Wildtier ausdrückt, noch dass man in Wirklichkeit eine gesamte Art in den Ruin treibt, wollte man den Tod einiger weniger vermeiden, noch der Vergleich zwischen dem kurzen, erbärmlichen Leben der Kälber, die in Zuchtbatterien großgezogen, und den Stieren, die in völliger Freiheit gezüchtet werden, wird sie überzeugen. Diese Argumente werden angesichts der unmittelbaren, leidenschaftlichen Reaktion derer, die sich empören und „Nein, so nicht!“ schreien, immer unzureichend sein. 

Es ist so, dass sich die Aficionados dieser Reaktion häufig mit ihrer eigenen Leidenschaft entgegenstellen. Wir könnten uns mit dieser Gegnerschaft von Leidenschaften abfinden, wenn sie sich selbst miteinander abfinden würden. Das Problem ist jedoch, das die eine von ihnen das Verbot der anderen fordert. Und an dieser Stelle ist die Rolle der Politik diejenige, die Vernunft zu wahren und zu sagen: „Wenn eines Tages die Corridas de Toros aussterben, dann wird es deswegen sein, weil sie keinerlei Leidenschaft mehr hervorrufen. Bis dahin ist es angebracht, einen jeden seiner Leidenschaft zu überlassen und so zu handeln, dass die Grundsätze der Freiheit siegen.“

Francis Wolff ist Professor für Philosophie an der Universität von Paris und Verfasser der Philosophie des Stierkampfes.



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Dr. Andreas Krumbein, 20. März 2012