Das Tercio de Banderillas und sein Zweck
Domingo Delgado de la Cámara

eingeleitet und übersetzt von Tristan Wood
entnommen aus La Divisa, Club Taurino of  London, Number 168 - January/February 2006, S. 29-33:
The Tercio de Banderillas and Its Purpose

übertragen aus dem Englischen von Andreas Krumbein
 
Eine der Freuden des Spanisch lesenden Aficionado war in den letzten Jahren die Entstehung der Buchtrilogie von Domingo Delgado de la Cámara über die Corrida de Toros - Revisión del Toreo, Avatares Históricos del Toro de Lidia und Del Paseíllo al Arrastre: La Lidia y su Evolución. Dieser zuvor wenig bekannte Kritiker hat ein scharfes Auge auf allgemeine Überzeugungen hinsichtlich des Toreo geworfen, wobei er mehrere, lange für gültig gehaltene Annahmen widerlegt, obwohl er nach meinem Dafürhalten weit interessanter ist, wenn er über den Toreo, der vor seiner Zeit stattgefunden hat, schreibt als über denjenigen, den er leibhaftig miterlebt hat, bei dem er dazu neigt viel dogmatischer zu sein. Er schreibt in einem leicht zu lesenden, unterhaltsamen Stil. Der nun folgende Auszug ist dem Buch entnommen, das das letzte einer Serie zu sein scheint, Del Paseíllo al Arrastre: La Lidia y su Evolución, in dem er sich der Funktion des zweiten Tercio widmet. (TW)

Der Peruanische Schriftsteller Felipe Sassone sagte, daß das Tercio de Banderillas so schön sei, wie es unnütz ist. Der Humorist Álvaro de la Iglesia hatte denselben Eindruck. Die Schreiber gelangten in ihrem Enthusiasmus, für die Banderillas einen Nutzen zu finden, zu der Schlußfolgerung, daß sie den Stier befähigten, nach der Suerte de Varas Kraft zu schöpfen. Deshalb wurden die Banderillas für lange Zeit als 'avivadores' angesehen. Es schien denjenigen, die dieser Ansicht waren, daß der Stier seine Energie erneuerte und durch das Jagen der Banderilleros in seinem Mut gestärkt wurde. Alle stimmten darin überein, daß das Tercio de Banderillas nützlich war, um den Toro in die Lage zu versetzen gemütlich einen Spaziergang zu machen. Dieses Konzept kam in der Tat schon in den Tauromaquias von Pepe Hillo und Paquiro vor. (Obwohl, wie jeder weiß, diese Toreros nicht die Autoren waren - Pepe Hillo war des Lesens und Schreibens unkundig, während Paquiro ein Mann war, der eher der Tat als dem Schreiben von
Buchstaben zugeneigt war. Sie wurden von den Aficionados José de la Tixera und Santos López Peregrín 'Abenámar' geschrieben. Die Banderillas befähigten diesen beiden zufolge den Stier Sauerstoff aufzunehmen und seinen Angriff zu verbessern.)

Ich habe diese Theorie nie gutgeheißen, denn hinter den Banderilleros herzurennen und die notwendige Capaarbeit des Subalterno del Turno durchzuhalten hat auch eine Schwächung des Toro zur Folge - eine geringere Schwächung im Vergleich zur Suerte de Varas, aber nichtsdestotrotz eine Schwächung. Die gesamte Lidia ist darauf ausgelegt, eine zunehmende Schwächung beim Stier zu erreichen, eine graduelle Abnahme seiner Stärke, um das Hineingehen zum Töten zu erleichtern. Die Lidia hat dies alleinige Ziel, und das Tercio de Banderillas bildet davon keine Ausnahme. Der Toro wird ohne Pause Stück für Stück geschwächt.

Oft wird gesagt, "Der Stier rafft sich  während der Banderillas
auf". Ich glaube solche Behauptungen nicht. Wir könnten ebensogut sagen, es habe eine mangelhafte Beurteilung der Züchtigung, die dem Tier während der Suerte de Varas zugefügt wurde, vorgelegen. Der Stier sei crudo geblieben und dies manifestiere sich in der starken Verfolgung der Banderilleros. Auf jeden Fall ist das, was gewöhnlich passiert, das Gegenteil, nämlich daß der Stier viel mehr Züchtigung in den Varas erhält als er tatsächlich braucht. In diesem häufig auftretenden Fall zeigt sich, daß die Theorie, daß die Banderillas dazu dienen den Toro zu beleben, Blödsinn ist. Ist in den Varas erst einmal Züchtigung erteilt worden, beleben die Banderillas nichts: Tatsächlich verschärfen sie die Situation bis zu dem Punkte, an dem der Matador um den Wechsel des Tercio bittet, bevor das dritte Paar Stöcke gesetzt worden ist, so daß das Rennen und die Capaarbeit, die das mit sich bringt, zu vermeiden - in anderen Worten: um weitere Züchtigung zu verhindern.

Wenn keiner an die Idee, daß die Banderillas dem Stier helfen sich zu erholen, glaubt, warum wird diese Theorie auf so lästige Weise immer wieder in allen Abhandlungen zu diesem Thema wiederholt? Wegen der Besessenheit, die Schriftsteller haben, für alles einen Grund finden zu müssen. Der Schriftsteller findet, wie der Wissenschaftler, den Zufall langweilig und haßt Dinge, die zufällig passieren. Er hat ein anmaßendes Bedürfnis, die Teleologie auf alles, was mit dem Menschen und der Natur zu tun hat, anzuwenden. Ich weiß gut, wovon ich spreche - nach Erklärungen für Zufallsereignisse zu suchen, ist eine meiner großartigsten Beschäftigungen (eine fruchtlose Beschäftigung, denn keine Schlußfolgerung ist zufriedenstellend und ein neues Zusammenprallen von Zufällen las tira por tierra).

Genug davon. Mir ist, als setzte ich Banderillas, nachdem der Stier an mir vorbeigelaufen ist. Lassen Sie uns zurückkehren vor den Kopf des Toro. Die Existenz des Tercio de Banderillas kann nicht durch die Teleologie erklärt werden; vielmehr existiert es aus historischen Gründen. Als die Banderillas in die konventionelle Lidia eingegliedert wurden, geschah dies, weil den Leuten die Suerte gefiel und nicht weil sie benötigt wurde.

Die Banderillas sind alles, was in der modernen Lidia vom Toreo, der im Baskenland praktiziert wurde, übriggeblieben ist. Sie sind die letzten Überbleibsel des Toreo der Pyrenäen.

Wie ich zuvor in
Avatares Históricos del Toro de Lidia erklärt habe, war der erste Konflikt, der im professionellen Leben des Toreo a Pie auftauchte, der Kampf zwischen den Toreros Nordspaniens und Andalusiens, ein Kampf, der vor demjenigen zwischen Rondeños und Sevillanos stattfand, zu dem Historiker und Gelehrte reichlich Stellung genommen haben. Im Gegensatz dazu ist der Streit zwischen den Toreros Nordspaniens und Andalusiens nicht eingehend untersucht worden (viel Glück den Historikern, die es tun). Doch bildet er einen entscheidenden Teil der Entwicklung der Fiesta.

Das war kein einfacher Zank zwischen zwei lokalen Splittergruppen. Es war eine Konfrontation zwischen zwei Konzepten des Toreo, zwei völlig unterschiedliche Tauromaquias. Der Toreo der Andalusier basierte darauf den Stier mit Ködern zu täuschen, während der Toreo der Norteños auf dem Recorte aufgebaut war, darauf, den Stier mit dem menschlichen Körper zu locken. Das andalusische Konzept hat zweifellos den Sieg davongetragen. Aber, weil das Publikum dies verlangte, sollte die Lidia der Andalusier für immer die spektakulärste Suerte der Norteños in sich aufnehmen - die Banderillas. Das war der Zweck der Banderillas - das Publikum zufriedenzustellen.

Jeder singt die Loblieder auf Costillares und das Lob ist verdient, denn er erfand die Ver
ónica (den wichtigsten Pase der Capaarbeit) und den Volapié, die üblichste und effektivste Form des Tötens. Francisco Romero jedoch ist ungerecht behandelt worden; die Leute neigen dazu, einfach zu sagen, daß er der Großvater des großen Pedro Romero und Begründers einer Stierkampf-Dynastie gewesen sei. Es scheint, daß fast jeder vergessen hat, daß er es war, der das Instrument erfunden hat, von dem in späteren Jahren zunehmend Gebrauch gemacht wurde - der Muleta -  und daß, damit bewaffnet, er damit anfing, Stiere von vorne zu töten, statt hinterhältig und unredlich aus einer anderen Richtung. Zusätzlich war er es, der mit der Struktur der Lidia von heute aufwartete, eingeteilt in drei Tercios und zum Schluß war er der erste, der versuchte die Picadores dem Matador zu unterstellen, obwohl die Person, die dies schließlich erreichte, Paquiro war.

Aber zweifellos ist derjenige Pionier unter den Toreros, mit denen die Geschichte am schlechtesten umgegangen ist, Bernardo Alcalde 'El Licenciado de Falces'. Fast niemand erwähnt ihn als den Vater der Suerte de Banderillas, obwohl vor ihm jeder der Stöcke nur einzeln gesetzt wurde, in einer Art Rejoneo a Pie, einer Nachwirkung der ritterlichen Corrida, die gerade dabei war zu Ende zu gehen. El Licenciado war der erste, der die Banderillas paarweise setzte, in jeder Hand einen Stock haltend. Dennoch hat ihn Goya während der Suerte, die ihn berühmt gemacht hat, nicht abgebildet, sondern ihn stattdessen eingehüllt in einen Umhang gezeigt, womit er eine Parodie auf die Chicuelina dargestellt hat. Ein anderer berühmter Torero des Nordens war Juanito Api
ñani, den Goya auf dem bekanntesten Bildnis seiner Tauromaquia portraitierte, wie er mit einem Stab hoch über einen Stier springt. Aber der berühmteste von allen war Martincho. Martín Barcaiztegui war des unbesonnensten Aktes fähig, der das Publikum in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Aufregung versetzte. Goya hat uns zwei Beispiele seines Wagemutes gezeigt und ihn einmal auf einem Stuhl vor dem Toril sitzend abgebildet, bereit den Stier zu töten, und ein anderes mal oben auf einem Tisch, mit gefesselten Füßen, wie er sich bereit macht einem Stier über den Kopf zu springen.

Während der Regentschaft Karl des Dritten wurde Joaqu
ín Rodríguez 'Costillares' zur wichtigsten Gestalt im Stierkampf und setzte die andalusiche Tauromaquia durch, wobei er die Toreros des Baskenlandes und aus Aragón in den Schatten stellte. Die endgültige Niederlage jener Toreros trat ein, als Pamplona und Zaragoza es vorzogen eher Costillares oder Pedro Romero unter Vertrag zu nehmen als sie. Von diesem Zeitpunkt an war die Lidia Nordspaniens, die auf dem Recorte a Cuerpo Limpio und auf Verwegenheit beruhte, verbannt auf das Stierlaufen in den Straßen und zu den Fiestas Populares, wo es bis heute überdauert. Und diese altertümliche Form des Toreo wird zweifelsohne seine Fortsetzung in der Zukunft finden, vorausgesetzt daß die Europapolitiker und die Stierkampfgegner einwilligen es hinzunehmen.

Die Andalusier waren obenauf. Im Jahre 1789 wurde zur feierlichen Thronbesteigung Karls des Vierten ein Cartel aus jenen Dreien aufgestellt, die die Pracht des 18. Jahrhunderts darstellten - Costillares, Hillo und Pedro Romero. Zu diesem Zeitpunkt waren die Norte
ños nichts wert.

Nichtsdestotrotz nahmen die Andalusier, um dem Publikum zu gefallen, die spektakulärste und kühnste Suerte der Nordspanier auf - die Banderillas, die nun auch Teil ihres Repertoires wurden. Oder eher, des Repertoires ihrer Cuadrillas, denn einer der Gründe, warum die Andalusier gegenüber den
Norteños die Oberhand gewannen, war, daß sie organisiert waren und die Norteños nicht. Die Nordspanier hatten ein absolut anarchisches Konzept der Lidia, bei dem sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt einschreiten konnten um Suertes auszuführen, in denen sie spezialisiert waren, jede Form von Hierarchie mißachtend. Die Andalusier waren organisiert in Mannschaften, zu denen Picadores gehörten, die die Lidia mit der Herabsetzung der Stärke des Stiers begannen, und Assistenten zu Fuß, denen bald die Aufgabe übertragen wurde die Banderillas zu setzen, während der Leiter der Lidia durch seine Arbeit mit der Capa und der Muleta hervorstach, und durch das Töten des Tieres. Hier war sie, die moderne Gliederung der Lidia, erdacht von Francisco Romero, im Überfluß praktiziert von Costillares, Hillo und Pedro Romero und 30 Jahre später in eine endgültige Abfolge gebracht von Paquiro.

Die Suerte de Banderillas ist wohl die Suerte, die sich am wenigsten weiterentwickelt hat. Während die Ver
ónica von Costillares sehr wenig Ähnlichkeit mit derjenigen von Rafael de Paula hätte, so wäre ein Paar Banderillas von El Licenciado de Falces wenig anders als eines ausgeführt von El Fandi. Die Suertes, die sich am meisten verändert haben, sind diejenigen, bei denen man stillstehen muß. Bei Suertes, bei denen Bewegung erforderlich ist, gibt es weniger Gelegenheit zum experimetieren und so haben sich solche Suertes weniger entwickelt. Warum ist das der Fall? Vielleicht deswegen, weil, wenn man sich bewegt, es viel schwieriger ist den Angriff des Stiers zu kontrollieren und deshalb technische und ästhetische Fortschritte weniger wahrscheinlich vorkommen.

Victor Pérez López, ein Aficionado wie er im Buche steht und intelligenter Gelehrter des Toreo, sagt, die Suerte de Banderillas habe seit der Zeit von Antonio Cormona 'El Gordito' keine sichtbare Entwicklung durchgemacht, also seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. El Gordito ist hinsichtlich der Banderillas das, was José und Juan [Joselito und Belmonte] für denToreo im allgemeinen waren. Er markiert den Zeitpunkt, zu dem das Paar al Quiebro eingeführt wurde, und trat mit den Banderillas in allen Formen auf, die man kennt. Es ist möglich, daß er nicht der Erfinder der Banderillas al Quiebro ist, - er könnte der Suerte in seinen frühen Tagen als Torero in Portugal begegnet sein - aber er war es, der die Suerte in die gewöhnliche Lidia eingebaut hat. Der Quiebro ist die modernste Form die Banderillas zu setzen - der Rest war bekannt seit den Anfängen des professionellen Toreo und El Gordito wendete sie häufig an.

In Gorditos Cuadrilla befand sich ein junger Subalterno, Rafael Molina 'Lagartijo', der sehr bald seinen Lehrer übertraf. In allem war er besser als er, in absolut allem, einschließlich der Banderillas, mit denen Lagartijo kolossal war und ein Vorbild an Eleganz.

Die Bedeutung der Brega *)
Wie hat sich die Suerte de Banderillas in den zeitgenössischen Toreo eingefügt? In anderen Worten, wie wurden die Banderillas durch die von José und Juan vollendeten Änderungen betroffen, oder welche Auswirkung hatte die gesteigerte Betonung des letzten Tercios auf das Tercio de Banderillas? Laßt uns jetzt diese Fragen beantworten...

Es ist schon klar, daß das Tercio de Banderillas ohne eine genaue Zielsetzung geboren wurde. Ich habe auch gezeigt, daß die Theorie, die von so vielen Autoren verteidigt wird, daß nämlich die Banderillas dem Stier helfen sich zu erholen, so ist, als würde man versuchen seinen Durst durch den Genuß von Stockfisch zu löschen. Nichtsdestotrotz traf das Tercio de Banderillas, seitdem
José und Juan zu experimentieren begannen und anfingen den modernen Toreo zu schaffen, auf einen neuen Zweck. Denn durch das Beobachten, wie der Stier gegen die Subalternos anläuft, kann der Matador sich ein Bild von der Verfassung des Toros machen, mit dem Gedanken an die Faena de Muleta in Hinterkopf. Wenn der Stier gegen die Subalternos anläuft, kann er beobachten, ob er schnell und gerade mit dem einen oder dem anderen Horn angreift. Wenn der für die Lidia verantwortliche Subalterno den Stier mit seinem Capote annimmt, kann der Matador die Fähigkeit des Stiers, gerade auf den Köder zu gehen und den Kopf zu senken, beurteilen.

Mit anderen Worten, zu der Zeit, zu der der Matador zum Töten hinausgeht, sollte er schon eine genaue Vorstellung vom Verhalten des Stieres haben, denn er hat ihn mehrere Male mit jedem seiner Hörner angreifen sehen. Da er den Stier beobachtet hat und weiß, wie er ist, kann er sich in der Tat mit der Muleta vom ersten Pase der Faena an auf einen vorzüglichen Toreo einlassen.

Trotzdem sehen wir viele Faenas, die mit unnötigen Pases zum Testen beginnen, mit Muletazos de Tanteo, die demonstrieren, daß der Matador seinen Toro immer noch nicht verstanden hat. Wenn wir einen Matador sehen, der den Stier ausprobiert, während er der Faena, die er gerade ausführt, Gewicht verleihen will, beschleicht uns der Zweifel auf zweierlei Art - entweder ist dem Stier im zweiten Tercio die Lidia nicht in geeigneter Form zuteil geworden und seine Qualitäten sind dem Matador deshalb unbekannt, oder die Lidia war korrekt, aber der Matador hat nicht gesehen, was er hätte sehen sollen, was uns zu der Schlußfolgerung führt, daß er ein Mann ist, der nicht versteht, womit er arbeiten muß.

Wenn wir zur zweiten Schlußfolgerung gelangen, daß dem Toro die Lidia in korrekter Form zuteil geworden ist, der Matador aber nichts daraus gelernt hat, wird es für den Torero zu einem großen Risiko im Ring zu sein, denn seine Unwissenheit könnte sich als fatal erweisen. Das mag überraschend erscheinen, aber es gibt viele Ignoranten, die den Lichteranzug tragen. Nachdem ich mit einigen von Ihnen gesprochen habe, bin ich nicht überrascht, daß sie sich als katastrophale Toreros erweisen...

Zu anderen Gelegenheiten weiß der Matador, was er mit seinem Material tun sollte, aber er ist umringt von Unfähigen, die das zweite Tercio in eine lächerliche Capea verwandeln und die unfähig sind, den Stier zu schulen. In den Händen bestimmter Cuadrilla-Angehöriger können alle Stiere schlecht aussehen. Das kann bedeuten, daß, wenn der Matador Schwert und Muleta nimmt, er sich tief auf Pases zum Testen beider Hornseiten einlassen muß, um herauszufinden, wie das Tier wirklich ist. Sehr oft, jedoch, wird er auch gezwungen sein, die Faena mit einer Serie mittelmäßiger Muletazos zu beginnen, die so geartet sind, daß sie den Stier von Unarten befreien, die er sich im zweiten Tercio angeeignet hat.

Wie schlecht, lieber Leser, ist die Lidia von heute nur! Ich glaube trotz des Gesagten nicht, daß es derzeit sehr viele schlechte Matadore gibt. Jos
é Tomás, Enrique Ponce or El Juli sind so gut wie irgendeiner der Besten früherer Epochen. Aber unter den Subalternos besteht totale Dekadenz. Es gibt keine Nachfolger von Leuten wie Blanquet or Alfredo David. Ich kehre jetzt zurück zu einem der Leitmotive dieses Buches - der Toreo mit der Muleta hat eine spektakuläre Weiterentwicklung und Verbesserung erfahren, doch unglücklicherweise sind wir im Falle der ersten zwei Tercios Zeugen einer deutlichen Rückentwicklung und eines klaren Verfalls. Nicht nur im ersten Tercio, sondern ebenso im zweiten. Wenn wir nur das Tercio de Banderillas in Betracht ziehen, ist es verblüffend wie die Cuadrillas der berühmten Matadore von komplett mittelmäßigen Subalternos bevölkert sind. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das ist es, was sie sind - Ausnahmen.   

Deswegen bleibe ich ein Bewunderer der großen Würde und der geringen Neigung zu lernen, die von den heutigen Toros an den Tag gelegt werden. Wären dieselben Tricks, die wir heute sehen, mit einem Toro von vor 80 Jahren durchgeführt worden, wäre man nicht in der Lage gewesen, danach noch einen einzigen Pase mit ihm auszuführen. Jene Hunderte von Capotazos, die hin und her fegen, ein paar falsche, kleine Schritte hier, eine Capea dort... und seht, ich spreche nicht über die Cuadrilla eines Becerrista, vielmehr über die Cuadrillas der großen Matadores, die stoisch einen nutzlosen Pöbel unterstützen, nur um sich nicht mit den Führern der Uni
ón de Picadores y Banderilleros konfrontiert zu sehen, die Stück für Stück durch Streikdrohungen die Bosse der Fiesta werden. 

Ich weiß nicht, wie ich die beginnen soll, das zweite Tercio, so wie es heute ist, zu analysieren. Alles ist so zusammenhanglos; es ist schwierig, irgendeinen Sinn zu erkennen. Und in der Zwischenzeit steht der Matador wie festgenagelt und betet zur Heiligen Rita, es möge nur so kurz dauern, daß es den Stier nicht ruiniert, oder er bittet den Präsidenten, das Tercio früh zu beenden, damit der Stier zur Muleta kommen kann, solange er noch etwas in sich hat.

Alle Subalternos wiederholen aufs lästigste: "Die Banderillas sind nicht wichtig. Was wesentlich ist, ist gut den Capote zu führen." Dadurch daß sie das sagen, versuchen die meisten ihre armselige Arbeit mit den Stöcken zu rechtfertigen... Das Argument wäre vielleicht gerechtfertigt, wenn sie gut mit der Capa kämpften, aber mit ihrer Capaarbeit wird es auch immer schlechter.

Die letzte Generation von Subalternos, die gut mit dem Capote kämpfen konnte, war die von Chaves Flores und Tito de San Bernardo, und es ist über 25 Jahre her, daß sie aufhörten aufzutreten. Seit dieser Zeit ist eine absurde Brega zur Norm geworden, eine die den Stier dem Matador nicht zur Schau stellt und die voller Mängel ist. Diese
Brega, die sich durchgesetzt hat und die damit verbunden ist, daß man ständig rückwärts geht, so daß der Stier niemals passiert wird, ein Toreo, der immer bei mittlerer Höhe und ohne die Hände zu senken ausgeführt wird, und ständige Bewegung ohne mit dem Stier zu einem Halt zu kommen sind sowohl schlecht als auch kontraproduktiv. Mit dieser Art der Brega wird das Ziel, dem Matador und den Zuschauern die Qualitäten des Stiers zur Schau zu stellen, nicht erreicht; so geschieht es, daß alle Stiere gleich erscheinen. Da der Stier sich dauernd in Bewegung befindet, aber nie am Tuch vorbeiläuft, kann man die Länge seines Angriffs nicht bemessen. Da die Hände nie gesenkt werden, ist es unmöglich die Fähigkeit des Stiers zum Senken seines Kopfes zu sehen. Natürlich wirkt sich all dies gegen den Toreo aus, denn der Stier gewöhnt sich daran seinen Angriff abzukürzen und seinen Kopf hochzuhalten. Wie ich zuvor sagte, kann ich nicht verstehen, warum die Stiere von heute nichts lernen, wo ihnen doch sogar Aramäisch beigebracht wird.

Diese
Brega, bei der man rückwärts geht, die Hände hoch haltend, könnte mit schwachen Stieren gerechtfertigt werden, mit Tieren um die man sich kümmern muß, doch es ist völlig unangemessen mit kraftvollen Stieren oder Tieren, die Schwierigkeiten machen. Dennoch wird heutzutage allen Typen von Stieren dieselbe Medizin verschrieben.

Aber es gibt eine andere
Brega, eine die auf genau den gegenteiligen Voraussetzungen zu derjenigen, die heute praktiziert wird, beruht. Man geht nicht rückwärts, man sollte vielmehr vorwärts gehen, wobei man den Stier lehrt sich zu bewegen anstatt ihn zu verschleißen. Wenn der Toro denjenigen Punkt erreicht, an dem er in den Bereich des Bregador gelangt, sollte der Mann stillstehen, die Hand so weit wie möglich senken und dem Capotazo so viel Länge geben wie es ihm möglich ist. Auf diese Weise zeigt er dem Matador die Länge des Angriffs des Stiers und dessen Fähigkeit den Kopf zu senken. Mit einem Paar gut ausgeführter Capa-Pases an jedem Horn ist der Toro erschlossen. Es ist sehr wichtig die Hand zu senken, so daß man den Stier daran gewöhnt seinen Kopf herunter zu nehmen und dem Tuch bis zum Ende zu folgen. Und der Stier sollte nicht fallen, denn wenn der Peón ein Gefühl für Temple hat und die Capa nicht mit plötzlichem Rucken bewegt, wird sogar ein Toro mit geringer Kraft auf seinen Füßen bleiben.

Sicherlich ist es wichtig die Capotazos zu beschränken und die geringst mögliche Anzahl auszuführen; ein guter
Peón wird nur einen oder zwei Pases mit der Capa benötigen um den Stier dorthin zu bekommen, wo er ihn haben will. Aber wenn ein Peón sich entscheidet einen Capa-Pase auszuführen, sollte er niedrig sein und er sollte ihn ganz durchziehen, so daß der Matador die Qualitäten des Stiers sehen kann und der Stier sich daran gewöhnt gut anzugreifen. Ein einziger gut gegebener Capotazo ist viel besser als 40 Halb-Capotazos, mit den Händen oben und diesen kleinen Rückwärtsfahrten: Obwohl man das letztere heutzutage häufig sieht, bewirkt es lediglich, daß der Toro lernt Abstände zu bemessen - weite Abstände, wenn niemand mit dem Tier das tun will, was man 'torear' nennt. Wenn man den Stier in einem bestimmten Terrain dulden muß, sollte er sich selbst platzieren, dort wo er auf den Peón fixiert ist; man sollte sich nicht auf ihn zu bewegen und, wenn er selbst vorwärts kommt, einen vollen Capotazo ausführen anstatt einen hochgezogenen Halb-Capotazo, bei dem man rückwärts läuft. Das Ziel sollte immer sein, den Stier dazu zu bringen, seinen Kopf zu senken, und ihn vorwärts zu führen - aber alles, was heutzutage gelehrt wird, ist den Kopf hoch zu tragen und seinen Angriff abzukürzen.

Wäre die heutige Art des Stierkampfes zu Domingo Ortegas Zeit gezeigt worden, hätte er seine gesamte Cuadrilla 'rausgeschmissen. Was passiert, ist, daß stillzustehen und die Hand zu senken Gefahr mit sich bringt; den Toro
jedoch nie zu passieren, lässt den furchtsamen Subalterno ruhig bleiben. Die Apostel der neuen Brega sind nicht berühmt für ihre Tapferkeit.

Wenn mir Leute erzählen, daß ein bestimmter Subalterno es gut gemacht habe, sage ich immer dasselbe: "Lasst uns sehen, ob er, wenn im zweiten Tercio ein Stier zum stehen kommt, in der Lage ist ihm nahe zu kommen und ihm seine Capa vor die Schnauze zu halten." Sehr wenige sind dazu fähig  - fast alle bleiben einen Meter entfernt und stampfen mit dem Fuß auf, was wirklich nur mit sehr wenig Tapferkeit verbunden ist.

Und dann muß man den Stier im
Tercio**) auch noch dazu bringen still zu stehen. Warum? Warum setzen sie die Banderillas nicht dort, wo der Stier zum stehen kommt, und warum sparen sie auf diese Weise nicht die Ausführung von Capotazos und beschleunigen den Kampf? Der Grund ist, daß diejenigen, die die Stöcke in den Händen halten, fast nie Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Banderilleros haben.

Um Capotazos zu vermeiden und das zweite Tercio zu einer herrlichen, aber kurzen Zeit zu machen, wobei man sicherstellt, daß der Stier so wenig wie möglich lernt, ist es eine logische Folgerung, daß man die Banderillas in jedem Bereich zu setzen hat. Überall dort wo der Stier halt macht, sollte der Banderillero darauf vorbereitet sein seiner Aufgabe nachzukommen. Dies würde eine Menge Capaarbeit sparen, denn es ist nicht nötig den Stier zum
Tercio**) zu bringen; der Mann, der die Brega ausführt, würde seine Beteiligung darauf beschränken, dem Banderillero in Gefahrenmomenten zu Hilfe zu sein, wobei er den Stier vom Mann wegführt. Nicht nur die Capaarbeit wird mißbraucht, wenn die Subalternos die Banderillas setzen, sondern auch wenn Matadores es tun - es gibt immer einen Peón, der den Stier hierhin oder dorthin schiebt. In diesem Fall ist es für den Stier nicht nötig sich immer im Tercio**) zu befinden, denn der Matador sollte fähig sein auch in anderen Bereichen die Banderillas zu setzen. Ungeachtet dessen verlassen sich dennoch die heutigen Matadores, die die Banderillas setzen, zu sehr auf den Subalterno, der den Toro dorthin bringt, wo er ihn haben will. Dies ergibt kein gutes Bild der Fähigkeiten des Matadors als Banderillero, denn, wie schon Corrochano sagte, als er Joselito el Gallo rühmte, ist der beste Banderillero derjenige, der den Peón am wenigsten braucht - jemand, der in der Lage ist, mit dem Stier in allen Bereichen der Plaza mit dem Stier zusammenzutreffen. Der letzte Matador, der fähig ist ohne Hilfe der Capa auch nur eines einzigen Peóns die Banderillas zu setzen, ist Luis Francisco Esplá.

Die Schlußfolgerung, zu der man nach all dem gelangt, ist, daß es im zweiten Tercio einen starken Mißbrauch der Capaarbeit gibt. Jeder akzeptiert heutzutage, daß der Stier, der die Banderillas von den Subalternos erhält, im
Tercio**) zum stehen gebracht werden sollte, sogar obwohl dies der Lidia in keiner Weise hilft und es nur getan wird, weil der Banderillero sich in diesem Bereich am sichersten fühlt. Sei's drum. Aber lasst uns wenigstens versuchen, das zweite Tercio mit so wenig Capotazos wie möglich hinter uns zu bringen, und wenn sie ausgeführt werden, lasst es gute Pases sein.
           


*) la brega - der Kampf, der Zank, der Streit;  (bes. im Stk.) die Kampfarbeit (i.a. die Routinearbeit, die mit jedem zu bekämpfenden Stier bis zum Töten geleistet werden muß und dieses einschließt; wird jedoch auch manchmal nur auf die Arbeit mit dem Capote bezogen.)

**) el tercio - das Drittel (im Stk.: I. die drei Abschnitte, in die der Kampf mit einem einzelnen Stier eingeteilt ist - tercio de varas, tercio de banderillas, tercio de muerte; II. mittlerer Bereich bei der Aufteilung des Terrains des Ruedo in drei Abschnitte - der innere Teil des Ruedo heißt medios, der äußere tablas, der dazwischen tercios oder tercio: an dieser Stelle des Textes ist Bedeutung II. gemeint.)
 

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Dr. Andreas Krumbein, 4. September 2006